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Lesedauer: 9 min 07.11.2022

Utopien?!

Über luftleere Räume und eine neue Rolle des Unternehmertums.

Kreatives Unternehmertum fragt sich in diesem Monat nach der Rolle von Utopien und Unternehmertum. Gesellschaftliche Transformationen und Umbrüche geben zu denken, wie wir die Richtung unseres gesellschaftlichen Wirkens bestimmen können. Wer sie gestaltet und wovon diese Gestaltung angetrieben sein könnte. Ein Plädoyer für das Träumen von Gesellschaft und unternehmen von Zukunftsbildern.

Wozu brauchen wir Utopien? Gedankenexperimente, Träume, Luftschlösser? Als Persönlichkeiten, als Gesellschaft, als Unternehmer:innen? Und wenn wir sie brauchen, wie nah am Realen, am Machbaren müssen sie bleiben?

Nach einer langen Periode des Wachstums und der Verstetigung von den Paradigmen, die waren, erreichen wir nun eine gesellschaftliche Ära der Veränderung. Alles, was sicher gewesen schien, wird in Frage gestellt. Unsere Art zu leben und zu wirtschaften, die Weise, wie wir mit unserer Umwelt umgehen und miteinander, ja, ganze Weltordnungen sogar. Dieser scheinbar omnipräsente Transformationsprozess stellt vieles in Fragen: Er eröffnet neue Möglichkeitsfenster, lässt uns aber auch vor luftleeren Räumen stehen. In dieser Zeit der Veränderung widmen wir uns gern dem Anfassbaren, dem, was uns Sicherheit und Konsistenz bietet. Utopien und Träume scheinen nun nicht gerade das, wonach wir uns gesellschaftlich sehnen. Sollten wir uns diese nicht aufsparen – für sicherere Zeiten? Träumen ist ein Luxusgut, träumen muss man dürfen, so denken wir. Doch wenn wir feststellen, mit vielem brechen zu müssen, sollten wir uns nicht grade dann dem zuwenden, was uns rät, alles anders zu machen?

Luftleere Räume sind herausfordernd, verwirrend, wirken überfordernd, doch grade dann entsteht das, was wir brauchen, um diese neue Form der Gesellschaft zu formen: Kreativität, Mut und Vertrauen in die Schaffenskraft des Menschen. Wir brauchen Visionen, die uns den Ansporn geben, diese Richtungswechsel zu gestalten. Entsteht die Vision, braucht sie einen Plan, daraus entsteht die Unternehmung, dann die gesellschaftliche Wirksamkeit. Und was braucht die konkrete Vision, um entstehen zu können? Ein Zukunftsbild. In dieser überfordernden, chaotischen, transformativen Zeit mag man in Schockstarre fallen, weil der Sinn, nachdem wir suchen, so weit entfernt scheint. Und doch ist der Sinn das, was uns am Ende des Tages in Bewegung bringt. Wie finden wir also Sinn in einer Gesellschaft, die diesen verloren zu haben scheint? Durch den Glauben daran. Durch Träume und Luftschlösser. Durch Utopien.

Wir leben in einer Zeit, in der lang alles verstetigt wurde. Die scheinbar nur noch wenig Platz für Transformation, für das Umsetzen von Träumen lässt. Zwischen einer administrativen Politik und einer geregelten Gesellschaft scheint so wenig Platz für Veränderungen. Doch die Rolle derer, die Träume wahr werden lassen kann, findet sich in den Unternehmer:innen. Was bedeutet Unternehmertum? Eine Unternehmung - im reinsten Sinne - ist etwas, das wir initiieren und mit einem bestimmten Ziel verfolgen. Ein/e Unternehmer:in nimmt etwas auf, an sich, in die Hand, um eine Vision zu erfüllen. Unternehmer:innen können also träumen – müssen es vielleicht sogar, um Gesellschaft gestalten zu können. Wo unterscheiden sich nun Träumer:in und Unternehmer:in? Der Begriff „Träumer:in“ hat im allgemeinen Ansehen eine negative Konnotation – die träumen ja nur. Der Unterschied zwischen den Unternehmer:innen und den Träumer:innen besteht allerdings nicht in der Dimension des Traumes, sondern darin, was nach dem Traum geschieht. Unternehmer:innen setzen um. Unternehmer:innen und Träumer:innen teilen die Vision. Doch Unternehmer:innen haben den Träumer:innen einen Schritt voraus: Das „in-die-Welt-Bringende“, den Tatendrang. Feiert man die Unternehmer:innen nur dafür, tut man den Träumer:innen in ihr Unrecht. Der oder die Träumer:in ist nichts ohne das Unternehmerische, aber das Unternehmerische ist auch nichts ohne den oder die Träumer:in.

Unternehmer:innen machen möglich. Die kreativen Unternehmer:innen sind nun diejenigen, die den Mut besitzt auch die träumerischen Gedanken, die ganz neuen und die ganz-heitlichen Ideen zuzulassen, umzusetzen und zu unternehmen.

Der Unterschied zwischen Unternehmer:innen und kreativen Unternehmer:innen besteht in der Entschlossenheit, gesellschaftliche Utopien unternehmerisch umzusetzen, die das bloße Ich übersteigen. Dieser Prozess beginnt darin, den Einfluss der eigenen Person und der Unternehmung auf die Gesellschaft anzuerkennen. Wird dieser Einfluss wahr – und angenommen beginnt Gesellschaftgestaltertum. Kreative Unternehmer:innen sind auch immer Träumer:innen, die sich ihrer eigenen Wirksamkeit im gesellschaftlichen Kontext bewusst sind.

Das hier ist kein Appell daran, ständig das Unmögliche zu verlangen oder sich in unrealistischen Träumereien ohne Realitätsbezug zu verlieren. Es eine einfach Erinnerung daran, dass sich die Gesellschaft ständig neu erfindet - und erfinden muss. Und dass wir uns in einer Phase wiederfinden, in der dafür hohe Relevanz besteht. Wir wollen Paradigmenwechsel. Der oder die Unternehmer:in als Rolle in der Gesellschaft hat nicht nur die Möglichkeit, diesen Paradigmenwechsel mitzutragen - er oder sie hat die Verantwortung ihn zu gestalten. Dafür braucht sie Utopien und diese müssen wir uns und der Gesellschaft erlauben, sie fördern und fordern, um am Ende in gesellschaftlicher Wirksamkeit unternehmerisch arbeiten und leben zu können.

Truman Capote, ein wahrlich wundersamer Künstler, Regisseur und Autor sagte: "Heute ist die Utopie vom Vormittag die Wirklichkeit vom Nachmittag." und damit beschreibt er recht treffend unsere herausfordernde und transformative Zeit. Dinge sind in Veränderung - schaffen wir es diesen Zustand mit Kreativität und Mut zu gestalten, können wir nicht nur ein neues Zeitalter formen, sondern die Art und Weise, wie wir uns als Persönlichkeiten entfalten können.

Vivian Dünwald
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Vivian Dünwald

KU Kommunikation & Magazin

Getrieben von einer tiefen Neugierde, Beziehungen und Zusammen­hänge zu erkunden studiert Vivian an der Zeppelin Universität Soziologie, Politik und Wirtschaft. Als Nordlicht am Bodensee zieht sie besonders viel Kraft aus Begegnungen mit Menschen und Natur in diesem besonderen Umfeld. Ein verstärktes inhalt­liches Anliegen ist für sie die Beschäftigung mit gesellschafts­politischen Fragen sowie Chancen­gleichheit jeglicher Form. Der Diskurs und die Auseinander­setzung, die Reibung und der Austausch stellen für sie den Weg dar, um gemein­schaftlich Gesell­schaft zu gestalten.

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