Wie ermöglichen wir uns in Zukunft eine plurale und inhaltlich qualitativ hochwertige Meinungsbildung? Was gibt es für unternehmerische Ansätze? Wer sind dabei die handelnden Akteure? Welche neuen Formen von Zusammenarbeit braucht es? Wie halten wir durch neue Modelle unsere Demokratie am Leben? Welche Rolle spielt Unternehmertum dabei?
Lokaljournalismus und Demokratie – wenn Selbstverständliches nicht mehr selbstverständlich ist. Jahrelang haben Unternehmen mit ihrer Werbung den deutschen Journalismus gut finanziert. Jetzt bauen sie entweder ihre eigenen Kanäle auf oder gehen auf digitale Sicherheit und werben auf den großen sozialen Plattformen. Mit diesen unternehmerischen Entscheidungen ist vor allem der Lokaljournalismus gefährdet. Dieser aber ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für eine lebendige Demokratie elementar. Zeit für neue Allianzen und Kooperationen jenseits der ausgetretenen Pfade für einen pluralen, unabhängigen, kritischen und nachhaltig finanzierbaren Lokaljournalismus. Ein Zukunftsformat für Journalisten, Kommunalpolitiker, Stiftungen, Unternehmer, Verlagsmitarbeiter, Verleger, Vertreter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Wissenschaftler und Bürger. Ein Austausch, der die zukünftige Meinungsbildung mitgestaltet.
Berichterstattung von Malte Werner, 07.11.2018 im Auftrag von Netzwerk Recherche e.V.:
Geht es dem Journalismus noch zu gut?
Eine kleine Medientagung auf dem Hammerhof in Mittelfranken suchte Antworten auf die großen Fragen zur Zukunft des Lokaljournalismus. Der ungewöhnliche Tagungsort lud dazu ein, die ausgetretenen Pfade der Debatte zu verlassen und neue Ideen zu diskutieren.
Die Diskussion über die Zukunft des Journalismus kann ziemlich deprimierend sein. Vor allem im Lokalen. Dort teilt sich der Markt der Zeitungsleser in die Älteren, die ihr Abo „mit ins Grab nehmen“, wie es Frank Lobigs, Journalistik-Professor an der TU Dortmund, nennt, und so den Verlagen noch ein paar Jahre Luft verschaffen, ehe ihr traditionelles Geschäftsmodell implodiert, und in die Jüngeren, deren grundlegend anderer Medienkonsum genau dafür verantwortlich ist.
Experten sind ratlos, wie es gelingen soll, die vielfältigen Probleme, die der digitale Wandel mit sich bringt, zu lösen. Es geht dabei ja nicht nur darum, den fast vollständigen Verlust des Werbegeschäfts im Internet an Facebook und Google irgendwie zu kompensieren. Es geht auch darum, Inhalte überhaupt an den Nutzer zu bringen, damit der Journalismus seine gesellschaftliche Funktion erfüllen kann.
Man kann der Branche nicht vorwerfen, dass sie über all dies nicht nachdenkt. Kein Medienkongress, auf dem Schlagworte wie Innovation, Disruption oder Start-up fehlen. Aber vielleicht geht es den Medienhäusern ein wenig wie den deutschen Autobauern. Klar forscht man im Autoland Nr. 1 an den Antrieben der Zukunft. Aber so richtig eilig scheint man es nicht zu haben, solange der Absatz von Autos mit Verbrennungsmotor das Überleben erst einmal noch sichert.
Andreas Franke, Leiter Lokalredaktion der Nürnberger Nachrichten, beobachtet Ähnliches im Journalismus. Er stellt die These auf, „dass es uns allen noch viel zu gut geht“. Und das, obwohl die Auflagen der deutschen Tageszeitungen seit dem Jahrtausendwechsel um mehr als ein Drittel und die Werbeerlöse um mehr als die Hälfte zurückgegangen sind. Franke äußert die ehrliche wie erschreckende Vermutung, dass es seine Zeitung noch 10 bis 15 Jahre geben wird. Aber noch gehe es Verlag und Redaktion eben gut, liege die Auflage am Wochenende bei 260.000 Exemplaren und arbeiteten 150 Redakteure im Haus. Aber das ist natürlich nur eine Momentaufnahme – wie ein letzter schöner Herbsttag vor dem langen kalten Winter.
Andreas Franke war einer von ein paar Dutzend Diskutanten und Teilnehmern der Veranstaltung „Lokaljournalismus und Demokratie – wenn Selbstverständliches nicht mehr selbstverständlich ist“ im mittelfränkischen Neuhof an der Zenn bei Nürnberg. Passend zum Thema hatte der Veranstalter, die gemeinnützige Organisation Kreatives Unternehmertum aus München, in die Provinz eingeladen. Genauer: auf den Hammerhof, eine zum Tagungszentrum umgebaute ehemalige Dorfgaststätte samt gemütlich eingerichteter Scheune. Unterstützt wurde die Medientagung von der Schöpflin Stiftung und der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.
Weil mittlerweile (fast) die gesamte Medienlandschaft die eigene Not erkannt hat (die Nürnberger Nachrichten arbeiten z.B. mit der Fraunhofer-Gesellschaft an der Frage, wie das eigene Informationsangebot im Sinne des Publikums optimiert werden kann), zerbricht sich die Branche seit Jahren den Kopf, wie man diese Abwärtsspirale aufhalten kann. Ideen gibt es viele, vielversprechende Projekte auch – aber genauso viele Rückschläge.
Auch auf dem Hammerhof diskutierten Vertreter aus Redaktionen, dem Verlagswesen, von Stiftungen und dem Bankensektor über alternative Geschäftsmodelle aber auch strukturelle Möglichkeiten zur Förderung und Aufrechterhaltung von Berichterstattung im Lokalen.
So ging es etwa um die Frage, ob ein genossenschaftlich organisiertes Geschäftsmodell (taz, Republik) auf den Lokaljournalismus übertragen werden kann. Als Rettung der Lokalzeitung taugt das Modell zwar vermutlich nicht, weil die Zahl potenzieller (zahlungswilliger) Unterstützer in der Fläche zu klein ist. Correctiv-Geschäftsführer David Schraven gab jedoch zu bedenken, dass für kleine Recherchebüros mit wenigen Mitarbeitern deutlich weniger Unterstützer nötig seien. Ihm schwebt aber noch eine ganz andere Art indirekter Journalismusförderung vor: Öffentliche Aufträge sollten in der Kalkulation ihrer Budgets einen kleinen Anteil „zur öffentlichen Kontrolle“ enthalten, der der Förderung der 4. Gewalt zugutekäme. Schon bei einem Anteil von 0,2 Prozent kämen bei Millionenprojekten tausende Euro zusammen, um die sich Redaktionen bewerben könnten, so Schraven. Ähnlich tollkühn war die Idee einer freiwilligen Medienabgabe lokaler Unternehmen zur Demokratieförderung, die in einer Arbeitsgruppe auf dem Hammerhof erörtert wurde.
Auch die Kooperation verschiedener Akteure der Lokal- und Regionalberichterstattung wurde diskutiert. Während die Vernetzung von Lokalzeitungen und lokalen Bloggern häufig an gegenseitiger Ablehnung scheitert, sind Kooperationen zwischen Verlagen und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk „rechtlich möglich und denkbar“, so das Urteil von Matthias Kurp von der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln. Was bei den großen Rechercheverbünden bereits vollzogen ist, könnte auf lokaler Ebene zum Beispiel dann funktionieren, wenn die Öffentlich-Rechtlichen externe lokaljournalistische Inhalte in die eigenen Webplattformen integrieren und so einem breiteren Publikum zugänglich machen würden.
ZDF-Digitalstratege Robert Amlung sieht eine mögliche Rolle seines Hauses als „Infrakstrukturprovider“. Entsprechende Kooperationen erprobt das ZDF aktuell mit Partnern aus dem Kulturbereich, die eigene Videobeiträge in der ZDF-Mediathek veröffentlichen können. Ein ähnliches Angebot für lokale Videoblogger wäre technisch leicht umsetzbar. Da das ZDF – anders als die ARD – keine Regionalberichterstattung macht, müsste man allerdings noch über die thematische Anbindung an die übrigen Inhalte der Mediathek und die Auffindbarkeit der Lokalnachrichten nachdenken. Aber könnte nicht das Nachrichtenportal des WDR lokalen Bloggern eine Rubrik „freiräumen“?
Stiftungen könnten über gezielte Projektförderung die Vernetzung der verschiedenen Akteure vorantreiben. Bisher engagieren sie sich vor allem in der Qualifizierung von Journalisten, der Finanzierung von Recherchen sowie der Format- und Organisationsentwicklung. Als Innovationstreiber sollten sie aber nicht da „einspringen, wo der Markt versagt“, warnte Kurp vor übertriebenen Erwartungen an den philanthropischen Sektor. Stattdessen könnten Stiftungen über Initiativen dafür sorgen, dass die Gesellschaft über den Wert von Journalismus nachdenkt.
Was in der mittelfränkischen Scheune einmal mehr klar wurde, war die Orientierungslosigkeit der Branche bei gleichzeitiger Zielstrebigkeit, eine Lösung für die vielen Probleme zu finden. Mittelfristig hilft vermutlich nur das, was Bestseller-Autor Felix Plötz gegen Ende der Veranstaltung propagierte: „Einfach mal machen!“
Hier geht es zum Original-Bericht auf der Homepage von Netzwerk Recherche.
Robert Amlung ist Journalist und Beauftragter für Digitale Strategien des ZDF. Sein Schwerpunkt ist die Konvergenz der Medien mit ihren Konsequenzen für Inhalte, Verbreitung und Geschäftsmodelle. Robert Amlung beschäftigt sich mit den neuen digitalen Distributionsmöglichkeiten und ihren Rückwirkungen auf die klassischen Medien. Dazu gehören Fragen des Wettbewerbs, der Regulierung und der politischen Rahmensetzung. Unter einem anderen Blickwinkel geht es gleichzeitig um die Zukunft des Journalismus, um systematisches Change Management und die Entwicklungen der Computertechnik. Bevor Robert Amlung 2001 beim ZDF begann, hatte ihn seine berufliche Laufbahn bereits zu ARD-aktuell in Hamburg und ARTE in Straßburg geführt. Er ist der Gründer von tagesschau.de und der ZDFmediathek.
Als Jugendlicher spielte Louis Klamroth im Kinoerfolg „Das Wunder von Bern“ die Hauptrolle und gewann die Goldene Kamera und andere Nachwuchspreise. Doch anstatt eine Karriere als Schauspieler zu verfolgen, bereiste er Mittelamerika, arbeitete als Aufbauhelfer auf Haiti und verarbeitete seine Eindrücke in ersten journalistischen Texten und Reportagen, u.a. für Stern.de. In Amsterdam und an der London School of Economics studierte er anschließend Politik und Wirtschaft. Heute kombiniert der 28-Jährige sein akademisches und journalistisches Interesse mit der Arbeit vor der Kamera. In seiner Sendung „Klamroths Konter“ (n-tv), für dessen Moderation er jüngst mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde, interviewt er alle zwei Wochen konfrontativ und kritisch politische Schwergewichte. Außerdem hat im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 die gemeinnützige, digitale Diskussionsplattform diskutiermitmir.de gegründet.
2019 gründete er zusammen mit seinem Cousin Nikolaus und mit Moritz Hohenfeld die Produktionsfirma K2H, bei der die Firma Florida Entertainment als Minderheitsgesellschafter einstieg. Anfang 2023 löste Louis Klamroth Frank Plasberg als Moderator der Talkshow hart aber fair ab.
Martin Machowecz, 1988 in Meißen geboren, leitet das Leipziger Büro der Wochenzeitung DIE ZEIT und die ZEIT-Seiten „ZEIT im Osten“. Er studierte Politikwissenschaft in Leipzig und besuchte von 2008 bis 2010 die Deutsche Journalistenschule in München mit Stationen beim Tagesspiegel und der ZEIT. Zuvor hatte er über viele Jahre als Autor der Sächsischen Zeitung gearbeitet, zunächst im Lokalen, später vor allem in den Ressorts Kultur, Gesellschaft & Seite Drei. Seit 2011 ist er Redakteur der ZEIT.
Simone Jost-Westendorf ist Geschäftsführerin der Stiftung in Düsseldorf, die sich für die Stärkung und Vielfalt des Lokaljournalismus in Nordrhein-Westfalen einsetzt. Unterdem Dach der Landesanstalt für Medien NRW gegründet worden und fördert die journalistische Weiterbildung sowie die Entwicklung und Umsetzung von innovativen digitaljournalistischen Projekten. Mit dem aktuellen Förderprogramm „Reinvent Local Media“ unterstützt sie gezielt die Entwicklung journalistischer Startups in Nordrhein-Westfalen. Bevor sie nach Düsseldorf wechselte, war Simone Jost-Westendorf Redaktionschefin des Berliner Online-Portals und betreute dort Digitalprojekte in Kooperation mit öffentlichen Trägern und wissenschaftlichen Institutionen. Seit 2000 arbeitete sie für den deutsch-französischen TV-Sender ARTE und leitete dort von 2003 bis 2008 die Redaktion von dessen Monatspublikation „ARTE Magazin“. Von Berlin aus war sie anschließend als freie Autorin und Producerin für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk tätig.
David Schraven leitet das Recherchezentrum correctiv.org als Publisher und inhaltlicher Geschäftsführer. Nach Stationen bei der „Tageszeitung“ und der „Süddeutschen Zeitung“ war er zunächst als freier Journalist für die „Welt“-Gruppe im Wirtschaftsressort und im Ressort NRW tätig. Als Gastjournalist des „Time“-Magazins erlebte David den 11. September in New York, damals, als die Türme einstürzten. Er war zudem einer der Gründer des politischen Blogs „Ruhrbarone“. Von 2010 bis 2014 hat David das Ressort „Recherche“ am Content Desk der Funke-Mediengruppe (WAZ/NRZ/WR/WP) verantwortet.
Für seine Recherchen zum PFT-Giftskandal an der Ruhr erhielt David einen Wächterpreis der Tagespresse. Für seine Arbeit zum Sozialbetrug der damaligen Staatssekretärin Zülfiye Kaykin aus Duisburg wurde er mit dem Recherchepreis der Schweizer Wolfgang-Fichtner-Stiftung ausgezeichnet. Seine grafische Reportage zum Afghanistaneinsatz der Bundeswehr „Kriegszeiten“ wurde für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Mit seiner grafische Reportage zum Rechtsterrorismus „WEISSE WÖLFE“ erhielt David Schraven den Deutschen Reporterpreis.
Geboren 1969 in Mönchengladbach. Studienabschlüsse als Diplom-Volkswirt und Diplom-Journalist. Zunächst Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Alfred-Weber-Institut für Wirtschaftswissenschaften der Universität Heidelberg, (Ober-) Assistent am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich (IKMZ) in der Abteilung Medienökonomie. Seit 2007 Professor für Medienökonomie an der TU Dortmund. Schwerpunkt in Lehre, Forschung und aktuellen Gutachten insbesondere digitale Transformation der Medienbranche z.B. 2017 Expertise zum „Paradigmenwechsel in der Ökonomie digitaler Medieninhalte“ für die Schweizer Eidgenössische Medienkommission EMEK sowie 2018 Gutachten „Meinungsmacht im Internet und Digitalstrategien von Medienunternehmen“ für die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich KEK (zusammen mit Christoph Neuberger). Mitherausgeber der Fachzeitschrift „MedienWirtschaft. Zeitschrift für Medienmanagement und Medienökonomie“, sowie der Nomos-Schriftenreihe „Aktuell. Studien zum Journalismus“.
Prof. Dr. Matthias Kurp lehrt im Fachbereich Journalismus und Kommunikation der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln. Nach Studium und Promotion an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (Politikwissenschaft, Publizistik, Philosophie) arbeitete er lange als freier Journalist für den Westdeutschen Rundfunk (TV, Hörfunk, Online) und für Medienfachzeitschriften. Bislang sind von Matthias Kurp mehr als 500 Artikel und Aufsätze für Fachmagazine, Bücher und Online-Portale erschienen. Außerdem gehörten Medienforschung (FORMATT), Tagungsberichterstattung und Lehraufträge an unterschiedlichen Hochschulen (Münster, Köln, Bochum, St. Augustin) sowie Seminare bei der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung zu den Tätigkeitsbereichen von Matthias Kurp. Nachdem er im April 2017 zum Professor an der HMKW berufen wurde, bilden dort die Themen Kommunikationsforschung, lokale Medien, Medienethik, Medienökonomie, digitaler Wandel und Unternehmenskommunikation die Schwerpunkte seiner Lehr- und Forschungstätigkeit.
Lukas Harlan ist bei der Schöpflin Stiftung Programmleiter für die Bereiche „Gemeinnütziger Journalismus“ und „Schöpflin Biotop“. In den letzten 15 Jahren hat er als Sozialunternehmer, Kultur- und Bildungsmanager gearbeitet und hält einen Master in Public Policy.
Josef Krieg, leidenschaftlicher Wanderer zwischen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft, verkörpert durch den eigenen Werdegang die Vision einer wirksamen intersektoralen Zusammenarbeit wie kaum ein anderer. Nach seinen vielfältigen Erfahrungen in Bundesministerien, großen Stiftungen, dem Zeitungswesen, universitären Lehraufträgen und der eigenen Selbständigkeit im Bereich der strategischen Kommunikation ist er immer wieder erstaunt, was alles möglich ist, wenn einmal Grenzen überwunden sind.