Die Landkarten, anhand derer wir es gewohnt waren, uns zu orientieren, verändern sich. Im Wandel entstehen neue Trampelpfade und Freiflächen. Wir bewegen uns in den Zwischenräumen und halten Ausschau nach anderen Wegen und Richtungspfeilern. Nun liegt es an uns, diese neu zu bespielen und zu gestalten. Als Einzelne:r, als Team, als Familie, als Organisation und als (Welt-)Gesellschaft. Wie gelingt uns ein Überblick? An welchen Haltungen wollen wir uns orientieren? Und welches Orientierungsvermögen brauchen wir? Ein Gedankenspiel aus KU Perspektive.
Es sind Orte, Geschichten, Wissen, Erfahrungen, und ganz ursprünglich die Himmelsrichtung nach der aufgehenden Sonne, die die Grundlage unserer menschlichen Orientierung formen. Aus der Vielfältigkeit heraus entstanden und weiter wachsend, schenkt uns die Orientierung Fokus. Eine Klarheit, die den Umgang mit Neuem gelingen lässt. Wie komplex und dynamisch die Art und Weise ist, in der wir uns zurechtfinden, fällt in vermeintlich unübersichtlichen Zeiten wie diesen besonders auf. Die äußerliche Verkürzung unseres räumlichen und zeitlichen Horizonts, die nun seit gut einem Jahr spürbar ist, fordert uns dazu auf, uns neu zu verorten. Eine Herausforderung – insbesondere für die junge Generation. Wie können wir die Orientierungsvielfalt für eine neue Zuversichtlichkeit nutzen? Was erzählt uns unsere Phantasie über die Geschichten bisheriger Landkarten und über Wege, diese neu aufzufalten, zu lesen oder sogar zu entwerfen?
Die Resonanzblase ist geplatzt. Für viele hat sich das, was sie sich erhofften, mit der zusätzlichen Zeit „endlich“ tun zu können, als Ent-täuschung erwiesen. Die Frage nach dem Sinn, dem Wesentlichen wächst. Der Überblick schaffende Weg dorthin ist nur vielleicht kein linearer mehr, sondern vielmehr zyklischer und individueller Natur. Nach gut einem Jahr in viel physischer Distanz scheint sich auch diese gesellschaftliche Bewegung hin zu mehr Individualisierung auf den entstehenden Landkarten abzuzeichnen. Den einen richtigen Weg, bzw. das eine richtige Ziel gibt es nicht mehr – es sind viele, einzigartige Wege, die die neue Kartografie bestimmen. Worauf das hindeuten könnte? Paul Watzlawick sagte einst „Wer zu sich selbst finden will, darf andere nicht nach dem Weg fragen.“ und erinnert uns so heute daran, unser rationales Denken durch die Intuition zu überwinden. Es ist eine Frage der Wahrnehmung, ob wir uns an unseren inneren oder äußeren Landkarten orientieren. Es geht darum, von wo aus wir die Welt wahrnehmen wollen.
Für die Orientierung an den inneren Landkarten braucht es den Mut, das eigene kreative und unternehmerisch Potential zu entdecken und dieses im Sinne des Gemeinwohls einzusetzen. Für diesen Mut zum Risiko tut es vielleicht sogar gut, nicht genau zu wissen, wie und wohin es geht. Ganz ohne Orientierung können wir manchmal mutiger sein, als wenn wir uns, den Weg und das Ziel bereits kennend, in Sicherheit wiegen. In dieser Ungewissheit, im Zwischenraum zwischen der alten und neuen Normalität, werden Spannungsfelder spürbar. Viele erleben diese derzeit als anstrengend, ermüdend und vielleicht auch überfordernd. Was ein:e jede:r bemerken wird, ist die Veränderung unserer Kultur – als Konglomerat all‘ unserer Gewohnheiten –, die sich im Laufe der Zeit verändert. Wenn wir dabei in dynamischer, offener Weise von unseren inneren Landkarten, von unseren SINNen, ausgehen, kann dieser Wandel auch eine belebende Wirkung haben. Es tut gut, mit Phantasie und Neugier zu spielen. Zum Beispiel im neuen Austarieren zwischen den digitalen und analogen Welten. Wie können wir diese Wahrnehmungen und Veränderungen resonanzvoll nutzen?
Auf allen Ebenen findet eine ähnlich intensive Bewegung statt. Wenn die Komplexität dabei wächst, verlieren wir schnell die Orientierung. Um damit umgehen zu können, bedarf es vermutlich viel weniger eines einseitigen Steuerns oder Planens, sondern eines beweglichen, freien Navigierens. Wie kann das gelingen? Die Frage nach der Essenz, dem Wesenskern von Organisationen und dem Wesen, das die Mitarbeiter:innen in dieser sehen, schafft ein neues Bewusstsein und kann eine Möglichkeit sein, Orientierung neu zu entfalten. Auch ein differenzierter Blick auf das, was Organisationen können und was ihnen fehlt, unterstützt eine Neuausrichtung in diesen veränderungsreichen Zeiten. Eine mit dynamischem Fokus. Ein wohlwollend-phantasiereiches wie fokussiert-realistisches Erahnen der Zukunft erlaubt eine neue Wahrnehmung der Tiefen, Höhen und anderer topographischer Gegebenheiten. Besonders interessant wird es, wenn wir dabei die Verbindungen – und das sind vor allem wir Menschen und somit Begegnungen – im Blick behalten.
Den Wunsch, dass es gut weitergeht und einfacher wird, kennen wir vermutlich derzeit alle. Wie wäre es nun, wenn wir uns wünschten, aus den Unsicherheiten dieser Zeit heraus neue Wege zu entdecken und auf unseren Karten einzuzeichnen? Was würde sich verändern, wenn wir uns am Gesellschaftsgestaltertum als Haltung orientierten? Der Künstler Joseph Beuys war folgender Überzeugung: „Das Entscheidende zur Lösung für jede Art von Zukunftsfragen ist die Frage nach dem menschlichen Kapital, das heißt nach der Fähigkeit des Menschen, Lösungen zu initiieren und damit Verantwortung für die Zukunft des Planeten Erde zu übernehmen“. Wir können einen Weg und somit eine neue Orientierung finden. Eine dynamische, vielfältige, phantasiereiche Art des Zurechtfindens, die uns an den Fokus, an das Wesentliche erinnert. Vielleicht brauchen wir für diesen Fokus nur mehr Mut zu einer neuen Wahrnehmung unserer Selbst und der Welt um uns. Was geschieht, hängt von unserem Handeln und aktiven Gestalten ab. In der Natur des Frühlings liegen Aufbruch, Wachstum und Veränderung. Was liegt in Deiner Natur?